10 Trends in der Augenoptik: Augenoptikermeisterin Anke Piepereit im Gespräch
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Die Augenoptik-Branche ist in stetiger Bewegung. Technischer Fortschritt ermöglicht bereits hochangepasste, individuelle Lösungen zur Verbesserung des Sehvermögens, zudem hat sich unser alltägliches Umfeld mitsamt den Sehgewohnheiten in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Ein Blick auf die letzten Jahrzehnte führt vor Augen, welche Entwicklungen sich auch medizinisch, gesellschaftlich und ökonomisch durchsetzen.
Über 40 Jahre ist Augenoptikermeisterin Anke Piepereit bereits in der Augenoptik tätig – und die meisten Trends, die sie beobachtet, haben sich über diese gesamte Zeitspanne aufgebaut. Ihr Fazit: Menschen stellen im Gleichtakt mit neuen Möglichkeiten auch höhere Ansprüche an Lösungen. Zugleich benötigen sie mehr Beratung und Begleitung.
Die technische Entwicklung beschleunigt sich
„Am auffälligsten ist wahrscheinlich der technische Fortschritt“, resümiert Piepereit. „Die Vielfalt an Lösungen hat durch bessere Materialien und Rechenleistung zugenommen. Höherbrechende Gläser ermöglichen auch bei stärkerer Fehlsichtigkeit relativ unauffällige Brillenmodelle. Biometrische Brillengläser passen sich exakt dem individuellen Sehen an. Vor Jahrzehnten war nicht einmal die Gleitsicht befriedigend gelöst, man trug bei gleichzeitiger Kurz- und Alterssichtigkeit meist Bifokalgläser.“
Für viele Menschen bedeute das eine erhöhte Lebensqualität. „Die Exaktheit bei biometrischen Brillengläsern ist auch durch selbstlernende KI möglich geworden. Dieser Trend wird sich fortsetzen, so dass die derzeit noch recht hochpreisigen Gläser wahrscheinlich erschwinglicher werden.“ Zugleich ermöglichen neue Materialien auch größere und leichtere Brillenmodelle. „Heute gibt es Fassungen, die feiner sind und zugleich größere Gläser haben, ohne dass die Brille deshalb allzu schwer auf der Nase liegt“, so Piepereit.
Mode spielt eine größere Rolle – und ändert sich schneller
Dagegen sei die Handarbeit zum Nischenprodukt geworden. „In den Achtzigern mussten angehende Gesellen noch per Hand Brillengestelle herstellen können: Wir sägten, frästen, löteten, bogen und bauten selbst Scharniere ein. Ein Kollege von damals war darin so begabt, dass er heute Unikate für höchste Ansprüche herstellt.“
Zugleich führen die Möglichkeiten bei der Herstellung zu neuen modischen Optionen für alle. „Die gerade bei jungen Leuten beliebte Oversize-Brille, hinter der sogar die Augenbrauen verschwinden, wäre ohne die Innovationen im Material gar nicht möglich“, erklärt Piepereit. Aber es kehren auch alte Modetrends in neuem Gewand zurück: „Die dicke Hornbrille ist heute nicht mehr aus Horn, sondern aus leichtem Kunststoff und lässt sich viel komfortabler tragen. Man kennt sie als modisches Statement bei Hipstern, und wer es noch mehr retro mag, ergänzt sie mit Gläsern, die eine Verlaufstönung haben – in unserer Jugend haben wir das noch ironisch als ‚Wischnewski-Brille‘ bezeichnet.“
Die Brille gilt kaum noch als Medizinprodukt
„Dass Hornbrillen lange out waren, lag auch daran, dass sie robuste, kostengünstige Gestelle hatten, die häufig von der Krankenkasse bezuschusst wurden“, erklärt die Augenoptikerin. „Entsprechend häufig waren sie zu sehen.“ Die Sparpolitik der Krankenkassen habe daran vieles geändert: „Wenn wir ehrlich sind, ist die Brille natürlich nach wie vor ein Medizinprodukt – sie korrigiert Fehlsichtigkeit. Menschen sind im Alltag auf sie angewiesen.“
Modisch dagegen habe sich einiges getan. „Heute wird eine Brille natürlich immer noch vor allem als Sehhilfe benötigt, ihre Bedeutung als modisches Accessoire hat aber enorm zugenommen. Das stelle ich auch in der Beratung fest – die ästhetische Aussage ist insbesondere jüngeren Menschen häufig ebenso wichtig wie die technische Funktion.“
Die Orientierung wird für Kunden schwieriger
Damit hänge auch ein weiterer Trend zusammen, so Piepereit: „Die Auswahl an Möglichkeiten kann Kunden überfordern. Das beginnt schon bei der Wahl der Gläser, also dem eigentlich technisch-medizinischen Teil. Da gilt es, zwischen optimaler Korrektur der Sicht, Tragekomfort und verfügbarem Budget das Optimum herauszufinden.“
Auch die Auswahl des passenden Gestelles benötige deutlich mehr Kommunikation als früher: „Damals gab es einfach nicht so viele Modelle. Heute erfordert Stilberatung mehr Feingefühl – gerade auch, wenn die geschmacklichen Vorstellungen der Funktionalität zuwiderlaufen. Natürlich hat der Kunde das letzte Wort, aber ich muss als Fachkraft natürlich schon auf Möglichkeiten und Grenzen achten.“
Die Sehaufgaben im Alltag nehmen zu
Das sei allein schon deshalb notwendig, weil die Sehaufgaben deutlich zunähmen, erklärt Piepereit: „Allein im Büro wechseln die Augen sehr oft zwischen Leseabstand, Bildschirmabstand und Fernsicht, etwa bei Besprechungen.“
Neben der Arbeitswelt sei auch das Sehen im Alltag und in der Freizeit differenzierter geworden: „Das war bei manchen Betroffenen schon früher so – ich war selbst in meiner Elternzeit häufig im Haushalt tätig, und das Lesen im Kochbuch erfordert einen anderen Augenfokus als das Kochen selbst. Heute stellt sich das Problem aber auch, wenn man zum Beispiel das Handy abliest oder Computerspiele spielt. Eine Bekannte wechselte damals in der Kirche immer die Brille, je nachdem, ob sie im Gebetbuch las oder die Predigt verfolgte. Das wäre bei heutigen Freizeitaktivitäten viel zu umständlich.“
Augenoperationen werden häufiger und qualitativ besser
Das Angebot an operativen Eingriffen nimmt in Menge und Qualität immer weiter zu. „Es ist schön zu sehen, dass auch die Medizin große Fortschritte macht“, bemerkt Piepereit. „Das kann dazu führen, dass Kunden unsere Hilfe gar nicht mehr benötigen – aber es kommt auch zu Situationen, in denen wir mit nachfolgenden Beschwerden zu tun haben. Es ist wichtig, solche Zusammenhänge zu erkennen.“
Die Interaktion mit Medikamenten rückt mehr in den Fokus
Dass das Sehen Schwankungen unterliegt, sei nicht jedem bewusst, erklärt die Augenoptikerin. „Häufig spielt schon die Tagesform eine gewisse Rolle. Menschen sind aber viel häufiger als früher von chronischen Leiden wie Diabetes oder Bluthochdruck betroffen. Das hängt auch damit zusammen, dass wir heute älter werden – und die Auswirkungen sogenannter Zivilisationskrankheiten häufiger zu spüren bekommen.“
Bei einer fest eingestellten Brille sehen manche Menschen dann trotzdem immer ein wenig anders: „Blutdrucksenkende Mittel zum Beispiel haben Schwankungen in der Sehkraft zur Folge. Bei Diabetes spielt der Blutzuckerspiegel oft eine Rolle. Wer das nicht weiß, zweifelt schneller an der Qualität der Brille – daher gehört es für uns dazu, dass wir solche Fakten bei der Anamnese mit aufnehmen.“
Das Angebot ändert sich durch große Ketten und Internet-Handel
„Den Aufstieg der Optiker-Ketten habe ich während meiner gesamten Laufbahn beobachten können“, berichtet Piepereit, „und sie haben durchaus positive Signale im Markt gesetzt: Die langweiligen Kassenmodelle wurden endlich schicker, und die spätere Sparpolitik im Gesundheitswesen konnten sie mit günstigen Preisen teilweise ausgleichen.“
Kritischer sieht sie den Online-Handel. „Hier kommen wir an Grenzen, denn dem Kunden fehlt die persönliche Begleitung. Auch Informationen gibt es nur noch wenige. Daher binden manche Anbieter doch wieder lokale Augenoptiker ein – denen aber eher ungünstige Konditionen angeboten werden.“
Anspruch und Kaufbereitschaft gehen auseinander
Die Folge des veränderten Marktangebots seien häufig unrealistische Erwartungshaltungen: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass jemand von uns eine exzellente Fachberatung erwartet – und gleichzeitig Discount-Preise im Kopf hat.“ Natürlich könne man einerseits auf geringere Budgets eingehen. „Andererseits wissen auch unsere Kunden, dass sie bei Optik Müller ausschließlich von ausgebildeten Augenoptikermeisterinnen und -meister betreut werden.“
Es sei daher wichtig, bereits im Erstgespräch keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. „Die Qualität, die wir bieten, können wir nicht zu Preisen anbieten, wie man sie aus mancher Werbung im Internet kennt.“
Brillen sind gesellschaftsfähig wie nie zuvor
Sehr glücklich ist Piepereit mit der Akzeptanz von Brillen. „Es kommt heute eigentlich nicht mehr vor, dass jemand ausgegrenzt wird, weil er eine Brille trägt – das gibt es gerade auch unter Kindern nicht mehr.“ Das helfe sehr bei der frühzeitigen Vorsorge: „Kinder und Jugendliche entwickeln oft Fehler im beidäugigen Sehen. Wenn sie zum Beispiel auf einem Auge kurz- und auf dem anderen weitsichtig sind, dann neigen sie dazu, die Augen alternativ statt gleichzeitig einzusetzen. Das kann mit Brillen sehr gut korrigiert werden. Dass Kinderbrillen heute eher als Stilelement und nicht als Stigma gelten, ist da sehr, sehr hilfreich.“
Zur Person: Anke Piepereit
Ihren fachlichen Werdegang begann Anke Piepereit 1983 mit der Aufnahme einer Lehre; die Gesellenprüfung schloss sie als Zweitbeste ihres Jahrgangs ab. Nach zwei Jahren Praxis in der Kölner Südstadt besuchte sie bis 1991 die höhere Fachschule für Augenoptik, die sie mit dem Titel Augenoptikermeisterin und staatlich geprüfte Augenoptikerin abschloss. Ihre beruflichen Stationen führten sie unter anderem zwei Jahre in die Schweiz. Seit 2007 ist sie im Team von Optik Müller.
